Es müssen Lösungen gefunden werden, die sowohl für die Tiere als auch für die Landwirte machbar sind.
Was sagen die anderen Akteure?
Wir sind absolut offen für den vierten Weg. Wir müssen aber sehen, dass der Gesetzgeber hier eine hohe Hürde errichtet hat.
Unter Berücksichtigung der veterinärmedizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse und des Tierschutzes ist derzeit die Methode der Immunokastration am ehesten zu empfehlen.
Wir als Bauernverband sagen: Wir brauchen alle vier Wege, aber insbesondere die Lokalanästhesie, gerade auch für kleinere Betriebe.
Der vierte Weg, die Lokalanästhesie, ist für uns keine Alternative.
Prof. Dr. Thomas Blaha, Prof. Dr. Dr. Michael Kühne, Dr. Heinz Schweer, Dr. Bianca Lind und Gerhard Langreiter beantworten Fragen von Landwirten und Verbrauchern zur Ferkelkastration
Wir halten die Impfung für eine gute Lösung. Wir wissen, dass damit die Anzahl geruchsauffälliger Tiere reduziert wird.
Dr. Ludger Breloh ist Bereichsleiter Strategie & Innovation im Agrarsektor der Rewe-Gruppe, einem der größten Lebensmitteleinzelhändler in Deutschland. Breloh betont, dass die Rewe-Gruppe den Schweinehaltern beim Ausstieg aus der betäubungslosen Ferkelkastration keine Vorgaben macht: „Wir akzeptieren die Ware unabhängig davon, auf welchem legalen Weg sie erzeugt wurde. Wenn der vierte Weg, also die örtliche Betäubung durch den Tierhalter, irgendwann kommen sollte, würden wir auch diese Tiere vermarkten.“
Aus seiner Sicht wäre es das Beste, wenn alle Vermarkter alle gesetzlich erlaubten Wege akzeptieren würden. Dann hätte jeder Landwirt die freie Wahl. Restriktionen wären hingegen fatal. Sie würden den Schweinefleischmarkt ins Chaos stürzen.
Allerdings sieht Breloh den vierten Weg „noch in weiter Ferne“. Darum unterstreicht der Handelsmanager, dass „die Rewe Group auch Fleisch von geimpften Tieren akzeptiert, und das bereits seit 2015. Wir halten die Impfung für eine gute Lösung. Wir wissen, dass damit die Anzahl geruchsauffälliger Tiere reduziert wird. Das hat für uns hohen Stellenwert. Der vierte Weg hat zudem einen weiteren Nachteil: Es ist kaum zu kontrollieren, ob die lokale Betäubung wirklich und richtig praktiziert wurde. Es wird unweigerlich Berichte über nicht sachgemäße Betäubung geben.“
Das Skandalisierungspotenzial der Immunokastration sieht Breloh hingegen als relativ gering an. Den Export sieht er durch die Impfung nicht in Gefahr: „In Australien ist Improvac ein gängiges Mittel und die Australier vermarkten einen erheblichen Teil ihrer Produktion nach Südostasien. Es geht also“, stellt Breloh fest. Seiner Meinung nach sollte die deutsche Schweineproduktion sehr stark darauf ausgerichtet sein, was der deutsche Verbraucher will, und das seien unkastrierte Schweine. „Dabei müssen wir alle Stakeholder mitnehmen. Es hilft nicht, wenn die Impfung auf gefährliche Art und Weise skandalisiert wird, indem man von Hormonfleisch spricht. Wir brauchen Information und nicht Desinformation der Kunden.“
Die Fristverlängerung für die betäubungslose Kastration bewertet Breloh skeptisch. „Die Verlängerung bringt allenfalls einen Zeitgewinn, um den vierten Weg zu legalisieren, aber ansonsten bedeutet sie nur ein „Weiter so“. Das bringt aus unserer Sicht gar nichts. Die Branche hat lange genug gewusst, was auf sie zukommt. Wir haben schon 2015 auf die Möglichkeit der Impfung hingewiesen“, sagt der Rewe-Manager.
Wir setzen uns für den vierten Weg ein, also die Lokalanästhesie durch den Erzeuger.
Clemens Tönnies ist Miteigentümer der Unternehmensgruppe Tönnies, des größten Schweineschlachtbetriebs in Deutschland. Zum Ausstieg aus der betäubungslosen Ferkelkastration sagt der Unternehmer: „Wir setzen uns für den vierten Weg ein, also die Lokalanästhesie durch den Erzeuger. Das Verfahren ist in vielen europäischen Nachbarländern gängige Praxis und funktioniert. Prinzipiell sagen wir aber auch, dass jeder Landwirt für sich die richtige Lösung finden und in seiner Entscheidung frei sein muss. Darum begrenzen wir die Zahl an Jungebern nicht, die wir annehmen. Wir suchen keine Eber, aber wir lassen die Erzeuger damit auch nicht allein.“
Entscheidend ist für Tönnies, dass der Verbraucher die gewohnt hohe Qualität an Schweinefleisch auch weiterhin erhält. Durch die Jungebermast „darf kein geruchsauffälliges Fleisch in den Handel gelangen. Das ist unsere Aufgabe.“ Gegenüber der Immunokastration mit Improvac ist der Unternehmer daher etwas skeptisch: „Wir haben in Versuchen mit geimpften Tieren exakt den gleichen Anteil geruchsauffälliger Schweine registriert wie aus der Mast unbehandelter Eber. Warum sollte ein Landwirt den Aufwand für eine Impfung betreiben, wenn das Ergebnis nicht besser ist als ohne?“ Tönnies warnt davor, sich mit der Impfung in Sicherheit zu wiegen. Jeder unkastrierte Eber müsse trotzdem gerochen und – sollte er riechen – aussortiert werden. Ansonsten finde das Fleisch keine Akzeptanz beim Verbraucher.
Die Verlängerung der Ausnahmegenehmigung für das betäubungslose Kastrieren um zwei Jahre bewertet Tönnies in Anbetracht der Situation als gangbare Übergangslösung. Er sagt: „Es geht letztlich um die Frage, wie man die Erzeugungskette schließt. Ja, vielleicht hat der eine oder andere das Thema der Ferkelerzeugung zu spät angepackt. Die Diskussionen über den vierten Weg laufen seit mehr als zwei Jahren. Den Bauern hier Verzögerung vorzuwerfen, ist aber nicht fair. Es verwundert eher, dass die Vorbereitungen aufseiten der Behörden nicht weiter vorangetrieben wurden. Nochmal: Ich will nicht verstehen, dass eine Methode, die im so fortschrittlichen Dänemark im Konsens mit Behörden und Tierärzteschaft pragmatisch umgesetzt wurde, nun in Deutschland schlecht geredet wird. Daher bin ich der Meinung, mit einer Verlängerung der Ausnahmegenehmigung wird der Kette die notwendige Zeit gegeben, um die Lösung aus Dänemark auf Deutschland zu übertragen und gut zu organisieren.“
Ein Blick über die Landesgrenzen
Nahezu alle männlichen Ferkel werden unter Lokalanästhesie kastriert. Die zusätzliche Schmerzmittelgabe ist Pflicht. Landwirte und landwirtschaftliche Mitarbeiter dürfen die lokale Anästhesie nach einem Sachkundelehrgang selbst durchführen.
Es gibt einige wenige Jungebermäster. Die Impfung gegen Ebergeruch spielt keine Rolle; es herrscht Angst vor fehlender Akzeptanz und Schwierigkeiten bei der Vermarktung vor.
In naher Zukunft wird es so bleiben.
Im Dezember 2017 hat die belgische Schweinebranche erklärt, dass noch nicht auf die Kastration verzichtet werden kann. Die Schmerzlinderung ist verpflichtend.
Über die Hälfte der männlichen Ferkel wird chirurgisch kastriert. Gegen Ebergeruch geimpft werden rund 15 Prozent der männlichen Ferkel; der Anteil für das Inland liegt bei 30 Prozent. Der Rest wird als Jungeber aufgezogen.
In naher Zukunft wird es so bleiben.
Zwischen 60 und 70 Prozent der männlichen Schweine gehen in die Jungebermast. Davon wird ein Teil nach Großbritannien vermarktet.
30 bis 40 Prozent der männlichen Ferkel werden durch den Landwirt selbst unter CO2-Betäubung kastriert.
Die CO2-Betäubung wird heftig diskutiert und von Tierschützern abgelehnt. Mittelfristig wollen die Niederlande keine Ferkel mehr kastrieren.
Die männlichen Ferkel werden vorrangig nicht kastriert. Das Lebendschlachtgewicht der Eber ist allerdings mit rund 105 kg geringer als in Deutschland. Außerdem beträgt das Schlachtalter höchstens sechs Monate, sodass das Risiko für das Auftreten von Ebergeruch sehr gering ist.
Rund 20 Prozent der männlichen Ferkel werden chirurgisch kastriert. Für bestimmte Exportmärkte werden sowohl weibliche als auch männliche Tiere immunokastriert.
Es ist keine Änderung der Methoden in Sicht.
Traditionell werden fast ausschließlich Eber gemästet. Auch hier werden die Tiere aber sehr jung und damit vor der Geschlechtsreife geschlachtet.
Dazu ist nichts bekannt.
Es wird sich wahrscheinlich nichts ändern.
Die betäubungslose Kastration ist bereits seit 2010 verboten. Es wird flächendeckend mit der Inhalationsnarkose kastriert.
Dazu ist nichts bekannt.
Es gibt Stimmen in der Schweiz, die nicht mehr mit der Isofluran-Narkose zufrieden sind. Man ist auf der Suche nach Alternativen und interessiert sich auch für die örtliche Betäubung. Die Tierärzteschaft stuft allerdings die chirurgische Kastration generell als überholt ein und empfiehlt die Impfung gegen Ebergeruch.
Die Agrar-Chefredakteure des Deutschen Landwirtschaftsverlags Ralf Stephan, Sepp Kellerer und Dr. Uwe Steffin sowie der freie Journalist Matthias Brendel kommentieren zum Ausstieg aus der betäubungslosen Ferkelkastration.
Impfung gegen Ebergeruch günstig und tiergerecht
Vor mehr als 20 Jahren haben australische Schweinefleischerzeuger die für die Tiere schmerzfreie Immunokastration eingeführt. Das geschah nahezu geräuschlos. Es gab ein paar Artikel in Fachmedien, eine öffentliche Diskussion fand nicht statt. Die Mehrheit der Australier weiß wohl bis heute nicht, dass ihr geliebtes Grillfleisch oder der traditionelle „Christmas Ham“ von Immunokastraten stammen kann.
Im Vergleich zur chirurgischen Kastration mittels Vollnarkose oder zur lokalen Schmerzausschaltung ist die Immunokastration die wohl günstigste, sicherlich tiergerechteste und am wenigsten zeitaufwändige Methode. Ein ähnliches Vorgehen wie in Australien ist in Deutschland dennoch nicht möglich. Dazu ist die Schweinefleischerzeugung hierzulande zu diversifiziert. Eine chemische Kastration müsste vom Mäster vorgenommen werden, was bislang nicht dessen Arbeit war und diesem außerdem zusätzliche Kosten für die Impfung aufbürdet.
Auch die Schlachtbetriebe würden am liebsten weitermachen wie bisher, weil es auch bei der Immunokastration Ausfälle geben könnte (wobei der Hersteller für den Impferfolg garantiert), vor allem aber aus Sorge um die Vermarktung. Also verfährt man zunächst zwei Jahre weiter so – und dann mal sehen. Anders als in Australien ist das Thema Ferkelkastration in Deutschland jedoch einer wachsenden Öffentlichkeit bekannt, und damit kommt ein weiterer Spieler aufs Feld: der informierte und agitierende Verbraucher.
Vertreten wird dieser Verbraucher insbesondere von Organisationen wie Tierschützern, Greenpeace oder Foodwatch. Diese Gruppen können auf Einzelhändler und andere Abverkäufer erheblichen Druck ausüben: Wer Lebensmittel liebt, darf sie nicht quälen. Die Entscheidung über die Zukunft der Ferkelkastration könnte damit den Landwirten und Verarbeitern aus der Hand genommen werden.
Gesetzgeber auf schlankem Fuß
Ein Drittel der in Deutschland gemästeten Schweine wächst in Niedersachsen heran. Deshalb ist es für die hier ansässigen Sauenhalter besonders wichtig, im Wettbewerb mit ausländischen Ferkellieferanten mithalten zu können. Die meisten sehen dafür den vierten Weg als ihre einzige Chance an.
Dass die Politik diesen Weg blockiert, ist nicht akzeptabel, denn mit der Forderung nach absoluter Schmerzausschaltung wurde im Tierschutzgesetz die Latte zu hoch gelegt. Diese Fehlentscheidung zu korrigieren, wäre alles andere als das oft befürchtete „Zurückdrehen“ des Tierschutzes, denn was nützt ein Gesetz, das sich nicht einhalten lässt?
Mit dem Tierschutzgesetz hat sich der Gesetzgeber im Jahr 2012 einen ziemlich schlanken Fuß gemacht. Um in der schon damals beunruhigten Branche Druck vom Kessel zu nehmen, verlegte er den Zeitpunkt für das Inkrafttreten des Verbots der betäubungslosen Kastration in die nächste Legislaturperiode. Für die Anpassung bleibe somit ausreichend Zeit, wurde den Tierhaltern vorgemacht.
Aus heutiger Sicht war das ein billiger Trick, denn statt die Zeit zu nutzen, blieb die Politik gänzlich untätig: keine Problemdiskussion, keine Forschung, keine Pilotprojekte, keine Schulungen, keine Investitionsförderung. Damit beginnt man erst jetzt, nachdem auf Druck der Tierhalter und ihrer Interessenvertreter endlich offen über mögliche Folgen des Verbots gesprochen wird. Die Lehre daraus kann nur lauten: kein neues Gesetz mehr ohne einen konkreten Plan, wie es sich umsetzen lässt!
Schweinehalter stehen hinter dem Ausstieg.
Die Schweinehalter stehen hinter dem Ausstieg aus der betäubungslosen Ferkelkastration. Aber das darf nicht zum Ausstieg aus der Ferkelproduktion in Deutschland führen, denn der wäre sicher auch nicht im Sinne der Verbraucher. Eventuell niedrigere Standards in anderen Ländern und damit weniger Tierschutz sind dabei nur ein Punkt. Ein zweiter ist die regionale Vermarktung. Sie wurde mühsam aufgebaut, läuft inzwischen aber erfolgreich. Ein Beispiel ist die „geprüfte Qualität Bayern“, bei der die Tiere in Bayern geboren, aufgezogen, geschlachtet und verarbeitet sein müssen. Wie soll das funktionieren, wenn die Ferkel aus Dänemark oder den Niederlanden kommen?
Die Schweinehalter stehen hinter der wirksamen Schmerzausschaltung. Aber ist es wirklich sinnvoll, wirksam als 100 Prozent zu definieren? Und kann der Schmerz hier als das alleinige Kriterium herangezogen werden? Das Setzen einer Spritze mit schmerzstillendem Medikament piekst, aber wie hoch sind die Gesamtbelastung des Tiers und das Risiko im Vergleich zu einer Vollnarkose bei einem drei Tage alten Säugling? Wenn die Gesellschaft immer mehr dazu übergeht, die Tiere zu vermenschlichen, dann sei hier auch der Hinweis erlaubt, dass in der Humanmedizin – wo immer möglich – von der Vollnarkose weggegangen wird und die örtliche Betäubung das Mittel der Wahl ist.
Die Schweinehalter stehen hinter Tierschutz in der Fleischproduktion und das erfordert Sachkunde. Aber wenn die Ferkelkastration nur noch durch einen Tierarzt durchgeführt werden darf, dann könnte eine Konsequenz sein, dass die Betriebe so stark wachsen, dass sich das Anstellen eines Tierarzts rechnet. Ob solche Bestände dann im Sinne der Verbraucher sind, das bleibt dahingestellt.
Die Gnadenfrist sinnvoll nutzen!
Dass wir von der betäubungslosen Ferkelkastration weg müssen, darüber herrscht Einigkeit. Über gangbare Alternativen wird heftig gerungen, den einen Königsweg gibt es nämlich nicht. Je nach betrieblichen Voraussetzungen ist die eine oder andere Methode besser geeignet. Ob Kastration unter Narkose, Immunokastration oder Ebermast: Alle bisher zugelassenen Alternativen stellen vor allem kleinere Betriebe vor Probleme. Um einen Strukturbruch zu verhindern, sollte die Lokalanästhesie durch Landwirte deshalb kurzfristig als „vierter Weg“ zugelassen werden.
Langfristig führt aber wohl kein Weg daran vorbei, komplett auf Eingriffe am Tier zu verzichten. Warum Kälber enthornt, Hennenschnäbel gekürzt oder eben Ferkel operativ kastriert werden müssen, das lässt sich zunehmend kritischen Verbrauchern kaum mehr vermitteln. Die chirurgische Kastration könnte sich deshalb als Sackgasse erweisen, egal ob unter Vollnarkose oder mit Lokalanästhesie. Für die Schweineproduktion muss deshalb die Mast intakter männlicher Schweine das Ziel sein, denn die körperliche Unversehrtheit gewährleisten heute nur die Ebermast und die Immunokastration.
Damit die deutschen Schweinehalter diesen Weg mitgehen können, muss die durch die Fristverlängerung gewonnene Zeit sinnvoll genutzt werden. Noch sind die Alternativen zur chirurgischen Ferkelkastration nicht hinreichend praxistauglich. Eberfleisch lässt sich nur schwer vermarkten und der Verbraucher ist skeptisch, was die Impfung gegen Ebergeruch angeht. Schlachtunternehmen und Lebensmitteleinzelhandel müssen deshalb jetzt Farbe bekennen, ob es für Fleisch aus Immunokastration und Ebermast ausreichend große Märkte gibt. Eine Verbraucheraufklärung findet bisher gar nicht statt. Die Kommunikationskampagne für das geplante staatliche Tierwohllabel sollte genutzt werden, um die Werbetrommel für Ebermast und Immunokastration zu rühren.
Deutschland sollte in Sachen Tierwohl mit gutem Beispiel vorangehen. Allerdings führt ein nationaler Alleingang zu Wettbewerbsverzerrungen. Auf die chirurgische Ferkelkastration kann deshalb nur dann verzichtet werden, wenn es eine europäische Lösung gibt, sonst werden die deutschen Ferkelerzeuger aus dem Markt gedrängt und die Frage des Tierschutzes wird exportiert.